Gastbeitrag im ND: „Wider eine düstere rechte Zukunft“
Gastbeitrag im ND: „Wider eine düstere rechte Zukunft“

Gastbeitrag im ND: „Wider eine düstere rechte Zukunft“

Zum politischen Erbe derjenigen, die heute im Mitte-links-Spektrum Politik machen, gehört es, den Linken neben sich für eine große Gefahr zu halten. Weil er zu links oder zu rechts oder zu erfolgreich ist – aus der Sicht des jeweiligen Akteurs durchaus verständlich. Denn die Frage nach dem sozialdemokratischen Inhalt der SPD oder der Verwelktheit der Grünen ist ja nicht ohne Grundlage. Offensichtlich herrscht im linken Lager die Vorstellung einer sich im Großen und Ganzen doch zum Guten neigenden Geschichte vor. Die Vorstellung, dass Geschichte ein ergebnisoffener Prozess ist, und sich ganz anders entwickeln könnte, ist zumindest eingeengt. Dabei könnte diese Zukunft dramatisch sein:

Wir sind nämlich derzeit Zeugen eines gefährlichen Rechtsrucks in Europa. Ungarn ist inzwischen faktisch eine Rechtsdiktatur, Polen ist auf dem besten Weg dorthin, Frankreich droht eine rechtsextreme Präsidentin. In Köln und Leipzig marschieren Nazi-Mobs in SA-Manier durch Stadtviertel und verbreiten Angst und Schrecken. Tag für Tag brennen in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte. Ausländer werden geschlagen, bedroht, beschossen. Der AfD wird in allen deutschen Parlamenten der Einzug prognostiziert.

Schwerste sexualisierte Gewalt gegen Frauen: Inakzeptabel! Doch beim Wettbewerb von abstrusen Vorschlägen zur künftigen Vermeidung solcher Straftaten geht es weniger um die Täter als vielmehr um deren Herkunft. Ja, man könnte den Eindruck gewinnen, als wäre in Deutschland sexuelle Gewalt etwas Neues. Ein kurzer Blick in die Kriminalitätsstatistik weist nur einen geringen Anteil von Flüchtlingen bei den Tätern im Bereich der Sexualdelikte aus.

Bei der politischen Beurteilung gibt das rechte Spektrum trotzdem den Takt vor: Zum Beispiel Björn Höcke, Abgeordneter der AfD im Thüringer Landtag, der von »Angsträumen für blonde deutsche Frauen« schwadronierte, die durch Flüchtlinge entstünden. Früher wäre er ohne viel Federlesens als Neonazi eingestuft worden. Heute müssen wir befürchten, dass Björn Höcke und Spießgesellen ein Bundestagsmandat erhalten.

Ihren Zugang zur politischen Macht müssen wir verhindern! Der Aufstieg des Rechtspopulismus wäre der Hebel, die Linke als gestaltende politische Kraft auszuschalten oder sogar von der Landkarte der parlamentarischen Repräsentation zu tilgen. Wir haben diese Entwicklung in Ungarn erlebt, in Polen, die französische politische Linke ist dabei, sie zu erleiden. Aber es gibt auch Länder, die andere Pfade beschreiten: Griechenland, Portugal, auch Italien und möglicherweise Spanien. Voraussetzung ist aber immer ein hohes Maß an Pragmatismus und Einigungswillen der linken politischen Strömungen. Leider fehlt dieser Wille nirgendwo so sehr wie in Deutschland.

Der demoskopische Strudel ist darauf zurückzuführen, dass die SPD seit über zehn Jahren nicht mehr glaubhaft als Anführerin eines politischen Lagers mit einer realen Machtoption zur wenigstens teilweisen Umsetzung seiner gemeinsamen Wertvorstellungen wahrnehmbar ist. Wer nicht einmal diejenigen an einen Tisch bekommt, die grob in dieselbe Richtung wollen, dem traut man auch nicht zu, ein ganzes Land in irgendeine Richtung zu bewegen. Wer realistisch nur als Vizekanzler kandidiert, wird als Kanzlerkandidat nicht ernst genommen. Grüne und LINKE profitieren nicht davon. Im Gegenteil! Wohin die Veränderung geht, ist offen. Ohne ein linkes Spektrum, das Ideen für die Richtung dieser Veränderung mit einer glaubhaften Aussicht auf Macht zu deren Umsetzung verbindet, werden immer mehr Menschen diese Alternativen im rechten Spektrum suchen. Dann wäre eine deutsche Version des ungarisch-polnischen Dramas denkbar, und es stritten nur noch CDU, CSU, AfD und vielleicht noch die FDP mit Aussicht auf Erfolg, wohin es geht. Die Opposition wäre marginalisiert.

Es ist leider so: Wir brauchen ein Bündnis, das in seiner Breite in der Lage ist, diese Horrorvision von einer Zukunft zu verhindern. Auch wenn die Aussicht auf eine parlamentarische Mehrheit gegenwärtig gering ist. Vielleicht besteht sie aber für eine mächtige und echte Opposition, die auf Basis einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung demokratische Grundwerte verteidigt. Oder wollen wir die Rolle der Kämpfer für die sozial Entrechteten und Deklassierten den verlogensten aller Akteure überlassen – wie es schon einmal eine Generation politischer Linker tat?

Online unter: neues-deutschland.de

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