Protestbrief an SPD-Abgeordnete: Bundesregierung plant Verschlechterungen bei Leiharbeit und Werkverträgen
Protestbrief an SPD-Abgeordnete: Bundesregierung plant Verschlechterungen bei Leiharbeit und Werkverträgen

Protestbrief an SPD-Abgeordnete: Bundesregierung plant Verschlechterungen bei Leiharbeit und Werkverträgen

Nach monatelangem Hin und Her liegt jetzt der Referentenentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen vor. Wir sind über den Inhalt dieses Referentenentwurfes zutiefst erschrocken. Es ist unsere feste Überzeugung, insbesondere nach Beratung mit arbeitsrechtlich versierten Juristinnen und Juristen, dass die geplante Reform zu einer deutlichen Verschlechterung des Status Quo für die Beschäftigten führen wird:

(1) Der dauerhafte Einsatz von immer neuen Leiharbeitskräften auf dem gleichen Arbeitsplatz im Entleihbetrieb wird legitimiert und damit die Spaltung der Belegschaften und Lohndumping strukturell verstetigt.

(2) Scheinwerkverträge werden weniger riskant, da das geplante Widerspruchsrecht zu einer faktischen Sanktionsfreiheit der Arbeitgeber bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung führen wird.

(3) Der Einsatz von Arbeitnehmergruppen mit eigenem Führungspersonal soll anders als bisher nicht mehr als Arbeitnehmerüberlassung (mit Equal-Pay-Anspruch) gelten, auch wenn im Hintergrund die Weisungen des Entleihers maßgeblich sind.

Liebe SPD-Kollegin, lieber SPD-Kollege, wir schreiben dir diesen Brief nicht nur als Abgeordnete, sondern auch als langjährige Gewerkschafter. Wir bitten dich noch einmal zu prüfen, ob das wirklich so gewollt ist, wie es gegenwärtig im Referentenentwurf steht. Auch wir wissen, dass die Probleme der Leiharbeit und bei Werkverträgen mit eurem Koalitionspartner schwer zu lösen sind. Aber eine Verschlechterung der Rechtslage war doch im Koalitionsvertrag nicht geplant. Das Gesetz ist nicht akzeptabel.

Jutta Krellmann & Klaus Ernst

(Ausführliche Kritik hier lesen oder am Seitenende downloaden)

 

Die Bundesregierung plant Verschlechterungen bei Leiharbeit und Werkverträgen

Kritik am Referentenentwurf des BMAS (April 2016)

Die Regierungskoalition hat sich auf einen Gesetzentwurf zur Regulierung von Leiharbeit und Scheinwerkverträgen geeinigt. Der Entwurf bringt, ganz anders als im Koalitionsvertrag angekündigt, keine ernsthaften Verbesserungen für Leiharbeitskräfte und für die Belegschaften im Einsatzbetrieb. Er wird sogar zu einschneidenden Verschlechterungen im Vergleich zum geltenden Recht führen. Die einzigen, die großen Nutzen von dieser Reform haben, sind Unternehmen, die sich illegal Arbeitnehmer ausleihen.

I. Zentrale Verschlechterungen gegenüber dem Status Quo

Das Zwei-Klassen-System im Betrieb wird gesetzlich zementiert

Wie ist derzeit die Überlassungshöchstdauer rechtlich geregelt?

Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) steht momentan: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend.“ Danach dürfte Leiharbeit eigentlich nicht dauerhaft reguläre Arbeit ersetzen. Dazu dient der Begriff „vorübergehend“ – auch wenn er bisher nicht genauer definiert ist.

Was soll laut Referenten-Entwurf geändert werden?

Das geplante Gesetz nimmt der Leiharbeit im Entleihbetrieb den „vorübergehenden“ Charakter. Dauerüberlassung und Lohndumping wird strukturell verstetigt – per Gesetz. Der einzelne Leiharbeiter soll zwar im Normalfall nur bis zu 18 Monate entliehen werden dürfen. Ein Tarifvertrag der Entleihbranche soll diese Frist aber unbegrenzt verlängern dürfen. Das ist neu. Und noch übler ist: Dauerüberlassung soll auch ohne diesen tariflichen „Freibrief“ möglich werden. Die maximale Einsatzdauer von 18 Monaten bezieht sich nämlich auf den einzelnen Leiharbeitnehmer und nicht auf den Arbeitsplatz im Einsatzbetrieb. Daraus folgt: Hat der eine Leiharbeitnehmer seinen Einsatz beendet, kann sofort ein anderer Leiharbeiter auf dem gleichen Arbeitsplatz weiterarbeiten, und so weiter. Es besteht das Risiko, dass der einzelne Leiharbeiter durch den regelmäßigen Wechsel nie die Gleichbehandlung beim Lohn erreicht. Aber der Entleiher kann Leiharbeit wieder als billige Alternative ohne arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz auf Dauerarbeitsplätzen nutzen.

Bewertung:

Bei der zeitlichen Begrenzung der Leiharbeit fehlt der Bezug auf den Arbeitsplatz und damit auf den Bedarf im Einsatzbetrieb, was eine Verschlechterung gegenüber dem Status Quo bedeutet. Der dauerhafte Einsatz von immer neuen Leiharbeitskräften auf dem gleichen Arbeitsplatz im Entleihbetrieb wird legitimiert und damit die Spaltung der Belegschaften zementiert.

Gedacht war das anders: Leiharbeit sollte es nur dort geben, wo der Bedarf vorübergehend ist – Auftragsspitzen, Personalengpässe, Krankheitsvertretungen usw. Für Dauerbedarf müssen Stammarbeitskräfte eingestellt werden. Das muss im Gesetz klar geregelt werden, sonst ist das Gesetz auch europarechtswidrig.

 

Scheinwerkverträge werden weniger riskant

Wie ist es derzeit rechtlich geregelt?

Wer sich bisher unter dem Deckmantel des Werkvertrags illegal Arbeitnehmer ausleiht, riskiert mit einem solchen Scheinwerkvertrag nicht nur Bußgelder nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die beteiligten Führungskräfte machen sich zudem regelmäßig wegen Beitragshinterziehung (§ 266a StGB) strafbar. Strafbarkeit schreckt ab, weil sie die beteiligten Führungskräfte persönlich hart trifft! Wer möchte schon für den illegalen Profit seines Arbeitgebers ins Gefängnis?

Seit 1972 werden illegal ausgeliehene Arbeitnehmer vom ersten Tag an automatisch zu Arbeitnehmern des Einsatzbetriebs –  so steht es im Gesetz. Sie haben Anspruch auf vollen Lohn und einen Arbeitsplatz. In der Praxis bekommen sie diesen vollen Lohn natürlich nicht freiwillig ausbezahlt – denn der niedrigere Lohn ist der Zweck der illegalen Überlassung. Damit werden auch die Sozialversicherungsbeiträge für den vollen Lohn verbotenerweise nicht abgeführt. Der illegale Verleiher, der zum Schein als Werkunternehmer auftritt, zahlt einen sehr viel geringeren Lohn und entsprechend weniger Sozialversicherungsbeiträge. Deshalb kostet die Arbeit der Leiharbeitnehmer so wenig.

Der Entleiher, der ja kraft Gesetzes Arbeitgeber geworden ist, hinterzieht derzeit bei illegaler Überlassung dann zwangsläufig die Sozialversicherungsbeiträge für den nicht bezahlten Unterschied zum Lohn eines Stammarbeitnehmers.

Das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleihbetrieb aufgrund illegaler Arbeitnehmerüberlassung ist derzeit die wichtigste Sanktion mit dem größten Abschreckungspotential. Damit ein solches Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher und der volle Lohnanspruch zustande kommen, müssen sich Arbeitnehmer in der Praxis allerdings fast immer einklagen.

Illegale Arbeitnehmerüberlassung mit der Folge, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommt, liegt derzeit leider aber nur vor, wenn das Werkvertragsunternehmen keine Verleiherlaubnis hat. Hat es eine solche auf Vorrat, ist es gegenwärtig fein raus, denn es handelt sich lediglich um verdeckte Arbeitnehmerüberlassung, aber nicht um illegale.

Was soll geändert werden?

Zukünftig soll bei Scheinwerkverträgen unabhängig vom Vorhandensein der Erlaubnis immer ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommen. Das ist zu begrüßen, wird aber durch das geplante Widerspruchsrecht vollständig konterkariert. Es ist vorgesehen, dass Arbeitnehmer dem Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleihbetrieb widersprechen können.

Wenn das neue Widerspruchsrecht eingeführt ist, wird das Unternehmen, das solches Fremdpersonal einsetzt, schon bei Arbeitsaufnahme von jedem Fremdmitarbeiter verlangen, dass er einen solchen Widerspruch abgibt. Dann ist der illegale Entleiher in Sicherheit: Es gibt kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher, keine Lohnzahlungspflicht und zwangsläufig keine Strafbarkeit wegen Beitragshinterziehung mehr. Der illegale Entleiher stünde nach dieser „Reform“ sogar besser da als ein legaler Entleiher, denn er haftet nicht einmal als Bürge für die Sozialversicherungsbeiträge – diese Haftung gibt es bei legaler Überlassung.

Die Behauptung, das Widerspruchsrecht solle die illegal verliehenen Arbeitnehmer davor schützen, in ein Arbeitsverhältnis gezwungen zu werden, das sie nicht wollen, ist abwegig. Es hat seit 1972 keinen einzigen Fall in Deutschland gegeben, in dem ein illegal überlassener Arbeitnehmer erfolgreich gezwungen wurde, beim illegalen Entleiher zu bleiben, nachdem die illegale Überlassung festgestellt war. Das Gegenteil ist der Fall: Praktisch ausnahmslos müssen sich Arbeitnehmer, die beim illegalen Entleiher bleiben wollen, dort einklagen.

Der Widerspruch eines Arbeitnehmers, der illegal überlassen wird, gegen das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher wäre in den allermeisten Fällen auch völliger Unfug. Ein Verleiher, der seine Leute illegal überlässt, hat gar keine eigenen legalen Arbeitsplätze. Er kann nur illegal ausleihen und hat keinen eigenen Betrieb. Den legalen Arbeitsplatz gibt es nur beim Entleiher. Widerspricht der Arbeitnehmer dem Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher, führt ihn dies direkt in die Arbeitslosigkeit – für den Entleiher führt der Widerspruch aber zu Straflosigkeit und Haftungsbefreiung. Genau das ist eine eindeutige Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht.

Es hat seit 1972 ungezählte Fälle illegaler Überlassung gegeben, die aufgedeckt wurden. In diesen Fällen mussten die illegalen Entleiher viele Millionen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen und ihre Führungskräfte wurden auch immer wieder wegen Beitragshinterziehung verurteilt.

Das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem illegalen Entleiher und die anknüpfende Strafdrohung wegen Beitragshinterziehung hat die stärkste Abschreckungswirkung von allen Sanktionen, wie jeder Ermittler von FKS und Zoll aus der Praxis bestätigen wird. Wenn dies jetzt durch die Einführung des unsinnigen Widerspruchsrechts faktisch beseitigt wird, dann ist der illegale Fremdpersonaleinsatz sehr viel weniger gefährlich als bisher. Wenn das gewollt ist, sollte man es aussprechen und nicht hinter dem Märchen vom Schutz der Vertragsfreiheit verstecken!

Bewertung:

Das geplante Widerspruchsrecht der illegal ausgeliehenen Leiharbeitskräfte gegen ein Arbeitsverhältnis zum Beschäftigungsbetrieb ist Augenwischerei und ein Geschenk an alle Unternehmen, die illegal überlassene Arbeitnehmer einsetzen. Der Gesetzgeber schafft Anreize für illegale Überlassung, die er weitgehend sanktionsfrei stellt. Das Widerspruchsrecht ist eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem Status Quo!

 

Illegale Überlassung von Teams wird erleichtert

Wie ist es derzeit rechtlich geregelt? 

Bisher kann die Überlassung von Arbeitnehmergruppen mit eigenem Führungspersonal auch dann als Leiharbeit gewertet werden, wenn die Weisungen vom mitüberlassenen Führungspersonal erteilt werden, sofern im Hintergrund Weisungen des Entleihers maßgeblich sind.

Was soll geändert werden?

Überlassung soll nach der neuen Definition in § 1 AÜG nur vorliegen, wenn der einzelne Fremdfirmenmitarbeiter den Weisungen des Entleihers unterliegt. Der Fremdfirmenmitarbeiter, der zusammen mit 200 Kolleginnen und Kollegen ausgeliehen wird, erhält in der Praxis seine Weisungen aber allein von den mit ihm zusammen ausgeliehenen Führungskräften. Besonders bei illegaler Überlassung aus dem Ausland finden sich solch große Teams mit eigenen Führungskräften. Die Rechtsfolge dieser missverständlichen Neudefinition kann es daher sein, dass keine Arbeitnehmerüberlassung, sondern ein Einsatz eines Selbständigen mit eigenem Personal angenommen wird und die Arbeitnehmer keinen Anspruch auf z.B. Equal Pay haben, obwohl die überlassenen Führungskräfte ihre Weisungen vom Entleiher erhalten.

Bewertung:

Nach der bisherigen Definition gab es keine Probleme, das als illegale Überlassung zu identifizieren. Die neue Definition erschwert – ohne irgendetwas zu verbessern – die Arbeit der Verfolgungsbehörden. Auch hier handelt es sich um eine Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht.

 

II. Regelungen, die hinter den Anforderungen zurückbleiben:

(1.) Auch weiterhin soll per Tarifvertrag vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu Lasten der Betroffenen abgewichen werden dürfen. Und das, obwohl gemeinhin ein Tarifvertrag dazu dient, die Lage für Arbeitnehmer zu verbessern. Die geplante Equal-Pay-Regelung nach 9 bzw. 15 Monaten erreicht nur eine Minderheit der Leiharbeitskräfte. Aktuell sind weniger als 10 Prozent von ihnen länger als 15 Monate beim gleichen Entleiher im Einsatz. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ darf keine seltene Ausnahme bleiben, sondern muss ab dem ersten Einsatztag gelten.

(2.) Die vorgeschlagene Regelung (§ 611a BGB) zu Werkverträgen bringt keine Verbesserung. Es gibt keinen Mitarbeiter des Zolls, dem diese Definition die Arbeit erleichtert. Ernsthaft wirken würde es, wenn sich illegal überlassene Arbeitnehmer häufiger mit Erfolg beim Entleiher auf ihrem Arbeitsplatz „einklagten“. Nach dem Entwurf aber trägt der Arbeitnehmer weiterhin die Beweislast, wenn er illegal an den Schein-Werkbesteller ausgeliehen wurde und er sich dort einklagen will.

Nach dem Gesetz ist der illegale Entleiher automatisch Arbeitgeber – in der Praxis wehrt er sich aber mit allen rechtlichen Mitteln dagegen. In dieser Situation soll der Arbeitnehmer auch in Zukunft vor dem Arbeitsgericht beweisen, dass er illegal überlassen wurde und nicht im Rahmen eines Werkvertrags für seinen Arbeitgeber gearbeitet hat. Er soll dann z.B. darlegen, dass sein Arbeitgeber keine eigene Personaleinsatzplanung machte und nicht für Schäden und Gewährleistungsfälle haftete. Der Nachweis scheitert in der Praxis immer wieder daran, dass der Arbeitnehmer dazu nichts weiß. Daher ist es notwendig, dass der Gesetzgeber die Beweislast auf den Entleiher verlagert, der allein die relevanten Fakten kennt. Ein entsprechender Gesetzgebungsvorschlag liegt vor (Brors/Schüren, NZA 2014,569, 572).

(3.) Mehr als Informationsrechte gesteht die Bundesregierung Betriebsräten nicht zu. Das ist kein Fortschritt. Es gibt nicht einmal eine schnell wirksame Sanktion, wenn die Informationspflicht nicht erfüllt wird. Information, erst recht nicht ohne Absicherung, ist keine Mitbestimmung. Damit Betriebs- und Personalräte ihre Aufgaben wahrnehmen können, sollten sie beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht erhalten. Dann können sie Nachteile für die Beschäftigten oder Arbeitsplatzverluste verhindern.

Mehr zum Beitrag:
Download: Kritik am Referentenentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen
Download: Referentenentwurf BMAS zu Leiharbeit und Werkverträgen (April 2016)

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